Katzen im Café, Katzen im Museum, Katzen überall. St Petersburg ist eine Katzenstadt. Von pensionierten und arbeitenden Katzen und dem Versuch, eine historische Verbindung zu verstehen.
Von Astrid Probst
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Neulich in St. Petersburg. Vor einem Kellerfenster stehen drei Schalen, randvoll mit Katzenfutter. Ein weiteres Futterhäufchen wurde vor den Schüsseln aufgetürmt, für den ganz großen Hunger. Zehn Meter weiter tapsen zwei Katzen auf einem schmalen Fleckchen Gras herum, eine rötliche und eine schwarz-weiß gefleckte, eine ältere Frau streichelt sie.
Die Katzenbegeisterung der St. Petersburger scheint allgegenwärtig, die Katzen sind es allemal. Die St. Petersburger lieben Katzen, erzählt man sich. Inwiefern das stimmt, lässt sich nur schwer beurteilen. Rein objektiv gibt es kein Land, in dem mehr Katzen leben. Denn in dem Land, in dem es auch Zeiten gab, in denen kaum eine Katze dort lebte, leben nun rund 23 Millionen Katzen. Und manche sagen, weil sie weg waren, werden sie heutzutage umso mehr verehrt. Woran das liegt, zeigt sich bei einem Streifzug durch die Stadt.
Muffta hat Ausgang. Miauend schwankt die braun-gescheckte Katze den Betonboden entlang, geradewegs auf die hellgrüne Tür zu, die so achtlos offensteht. Drei Meter, noch zwei. Doch was sie will, wird sie nicht erreichen.
Ein Ausruf, ein schneller Schritt, zu ist die Tür nach draußen. Ertappt. Muffta die zwanzigjährige Katze, wankt zurück.
Muffta ist eine der Eremitage-Katzen. Ihr Job war es, Ratten zu fangen und Gemälde im Kunstmuseum in St. Petersburg vor Nagern zu schützen. Dafür leben sie und die anderen Katzen im Keller. Diese arbeitenden Katzen sind die nicht so ganz heimlichen Stars unter den Rembrandts und Van Goghs – sie erhalten keine Dankeskarten, aber Fanpost, Katzenfutter von einem Sponsor, Spielzeug von Katzenliebhabern. Damals, 1745 war das, holte Zarin Elisabeth die Katzen in den Winterpalast. Mit dem Zweck, die rund 25.000 Kunstwerke vor Nagerangriffen zu schützen. Oben Kunst, unten Katzen und nirgends Ratten oder Mäuse.
Grelles Licht aus Neonröhren erleuchtet das Kellergewölbe. Die Luft ist fluffig und warm und neben Muffta spielen fünf Katzen mit bräunlichen Rücken und weißen Bäuchen in einem Käfig. Sie sind erst wenige Monate alt und bis sie geimpft sind, werden sie von den anderen Katzen getrennt. Auf dieser Seit der hellgrünen Tür wird nicht gearbeitet. Die rund 30 Katzen auf Mufftas Seite sind zu alt, zu jung, zu scheu, zu ungeimpft, zu menschenverliebt, um durch die dunkeln Gänge zu wandern und Nager zu jagen. Sie warten auf ein neues Zuhause, auf ihren Arbeitseinsatz oder vielleicht auf nichts außer die nächste Fütterung und ein paar Streicheleinheiten.
Auf der anderen Seite der hellgrünen Tür leben die berufstätigen Katzen. Sie jagen durch die rund zehn Kilometer langen, unterirdischen Gänge der Eremitage. Sie gelangen dorthin, wo kein Mensch mehr Mausefallen aufstellen und einsammeln könnte, und streunen zwischen Heizungsrohren, Kabeln und dunklen Nischen umher.
Vier Frauen sind nur für die Katzen da, extra angestellt von der Eremitage. Auf den etwa zwei Meter breiten Hauptwegen füllen sie Näpfe, schütteln Decken aus und leeren Katzenklos. Alle 50 Meter gibt es für die arbeitenden Katzen die Raststationen.
Vier Kilometer weiter, im Katzencafé Cats Republic klirrt aus Musikboxen Klaviermusik und auf einer blauen Decke liegt Rossi. Dann springt der weiße Kater auf, als habe er etwas Wichtiges vergessen und saust quer durch den Raum, hinter die Theke. Ein paar der anderen Katzen schauen verscheucht auf, sehen, dass es nur Rossi ist, der von den Angestellten im Café den Beinamen „Rossi-crazy“ bekommen hat und dösen weiter. 25 Katzen leben in dem Katzencafé, bis sie jemand adoptiert, sagt Alisa. Seit einem Jahr arbeitet sie in dem Katzencafé, das das Erste Europas war. Die Katzen beruhigen die Menschen, sagt sie. Einmal, erzählt sie, kam ein Mann nach einem Streit in das Café mit der Katzentapete, um Katzen zu streicheln.
Die russische Katzenliebe ist nicht neu, sagt Alisa. In der russischen Geschichte kreuzen sich die Wege der St. Petersburger immer wieder mit denen der Katzen und bei einem Streifzug durch St. Petersburg wird deutlich, wie sehr die Bewohner die Tiere vergöttern.
Eine Geschichte, die man sich in St. Petersburg erzählt, ist diese: Als im damaligen Leningrad durch die deutsche Belagerung eine Hungersnot ausbrach, aßen die Menschen in ihrer Not Katzen. Rund 28 Monate war die Stadt von der deutschen Wehrmacht eingeschlossen. Mehr als eine Million Russen starben während der Leningrader Blockade zwischen 1941 und 1944. Die Katzen sollen viele Menschen gerettet haben und wurden durch sie ausgerottet – in St. Petersburg zumindest. Briefe aus dieser Zeit belegen solche Erzählungen. Die Katzen verschwanden, die Ratten kamen und damit die Gefahr einer Pest.
In vier Waggons sollen Katzen nach der Belagerung aus einer Stadt bei Moskau nach St. Petersburg gebracht worden sein und kamen so in die Stadt zurück. Spätestens hier begann die Danksagung der St. Petersburger bei den Katzen und noch heute kann man zusehen, wie eine Stadt und ihre Bewohner „danke“ sagt.
Autos hupen, Reifen rauschen über regennasse Straßen und im Zentrum von St. Petersburg knipst ein Ehepaar aus einem Vorort Fotos von Katzen. Oben am Sims, am ersten Obergeschoss thront der Bronzekater Jelissej und erinnert die Russen an ihre gemeinsame Geschichte während der Blockade. Gegenüber sitzt Wassilissa und blickt auf die Straße. Die Bronzekatzen sind eines der vielen Katzendenkmäler in der Stadt.
Dass die Katzen nach der Blockade wieder in die Stadt zurückkehrten und blieben, galt in St. Petersburg als Symbol des Neuanfangs. Die Katzen sind zurück, damit werde wieder alles gut, so die Hoffnung. Doch erst, als gegen Ende des Zweiten Weltkrieges Verstärkung aus Sibirien anrückte, in Form von 5000 weiteren Katzen, wurde die Stadt von der Rattenplage befreit.
Im Katzencafé Cats Republic rennt der verrückte Rossi in den Nebenraum mit den vielen lebenden und fotografierten Katzen. Hier hängt die Galerie der berufstätigen Katzen der Stadt.
Da ist die Katze, die in der Bibliothek arbeitet, die andere, die im Theater Mäuse fängt und ganz rechts hängt ein Bild von Maro, dem Kater, der den Buddhistischen Tempel rattenfrei hält und während der Zeremonie lieber unten im Keller schläft. Als die vorbei ist, taucht er an der Treppe auf, streift um seinen leeren Futternapf und lässt sich von einem Jungen kraulen, während er auf sein Futter wartet.
Mittig Links guckt Mr. Darcy verschreckt in die Kamera. Er sitzt in einer Schüssel, um den Hals trägt er eine rote Schleife. Im Hintergrund, sein Arbeitsplatz: ein Katzenladen, wenige Minuten entfernt vom Katzencafé. Es gibt Regenschirme, Eierbecher, Socken, Magnete, Schreibblöcke – alles mit Katzenmotiv. Wenn sich ein Kunde mal nicht entscheiden kann, ob es die roten Handschuhe mit den schwarzen Katzen oder die grünen Handschuhe mit den rötlichen Katzen sein sollen, entscheiden Miss Elisabeth und Mr. Darcy, indem sie etwa in die eine oder die andere Richtung gucken oder an einem Handschuh schnüffeln.
Im Keller der türkisgrünen Eremitage miaut Muffta weiter die geschlossene Tür an.
Eine der Frauen übersetzt: „Sie sagt, ihr macht das alle nicht richtig.“
Muffta miaut nochmal.
„Sie will raus und arbeiten.“
Tut die pensionierte Muffta ohnehin. Zwar streift sie nicht mehr durch die Gewölbe, doch allein, dass sie da ist, reicht aus, damit die Eremitage zur No-Go-Area für die Ratten wird. Inzwischen leben die Katzen so lange in dem ehemaligen Winterpalast, dass ihr Geruch in den Gemäuern hängt und sich kein Nager mehr dem Gebäude nähert. Und auch ihre arbeitenden Kollegen haben schon lange keine Ratte mehr gefangen. Inzwischen schnappen sie eher Vögel, wenn sich die in den Innenhof verirren.
Mufftas Feinde kommen also nicht mehr. Trotzdem leben die Katzen weiter im Kunstmuseum und werden versorgt. Das lebenslange Wohnrecht, dass man ihnen eingeräumt hat, es ist auch eine Form der Danksagung.