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Mit Krach und Witz gegen das Patriar­chat

Auf einen Stadtrundgang durch die feministische Geschichte

Von
Helena Weise

D

In St. Petersburg gibt es viele Statuen von großen Zaren und großen Denkern. Polina hat einen anderen Blick auf die Stadt. Sie kennt die Orte, die eine feministische Bedeutung haben. An einigen davon hat sie selbst schon oft demonstriert.

Wir treffen uns an der Metrostation Tschernyschewskaya. Schon von weitem leuchtet ihr orange-farbener Schal. Polina kommt in schnellem Schritt, und in schnellem Schritt geht es weiter. Aus ihrem Silber-Etui nimmt sie selbstgedrehte Zigaretten. Wenn sie aufgeraucht hat, sucht sie einen Mülleimer, um den Stummel dort hineinzuwerfen.

Ob es einen Ort gibt, der für den feministischen Protest von Bedeutung ist, hatte ich sie vorab gefragt und nun ist für die kommenden zwei Stunden ein Stadtrundgang geplant, der so viele Stationen hat, dass kaum Zeit ist um stehen zu bleiben.

Polina ist jung, 23 Jahre alt. Sie studiert Werbedesign im letzten Jahr und entwirft feministische Kalender. Sie ist sorgfältig gekleidet, unter ihren Augen schimmern kleine Aufkleber aus Perlmutt, die sie nach wenigen Minuten aber abnimmt. Sie ist ernst, sie nimmt diese Aufgabe ernst.

Wir marschieren Richtung Newa, die die Stadt mit ihrem breiten Strom teilt und bleiben an ein paar aufeinandergestapelten Granitblöcken stehen. Denkmal für die Opfer politischer Repression. Auf der anderen Seite des Flusses lauert das Kresty-Gefängnis, in dem schon im russischen Kaiserreich politische Gefangene inhaftiert wurden und in dem auch Nadeschda Tolokonnikowa und Marija Aljochina aus der Band Pussy Riot saßen.

„Wir befinden uns beim Denkmal für die Opfer der politischen Repression, das dem Kreuzgefängnis gegenüberliegt und nicht weit vom Denkmal für Anna Achmatowa. Im September gab es hier eine Aktion, die „Frauensache“ hieß. Bei dieser Aktion haben Aktivistinnen Fotos von Frauen ausgehängt, die aktuell vom Staat verfolgt werden. Das waren „ausländische Agentinnen“, Journalistinnen, Künstlerinnen, zum Beispiel Yulia Zwetkowa oder Darja Pochontschitsch.“

Yulia Zwetkowa zum Beispiel wurde im Dezember 2019 wegen Homosexuellen-Propaganda und Pornographie verurteilt. Sie hatte eine feministische Website namens „Vagina Monologe“ erstellt und teilte Bilder und Illustrationen weiblicher Körper in den sozialen Medien. Von ihr und über fünfzig weiteren Frauen hingen Fotos an der Kaimauer. Noch einmal so viele Frauen kamen zu den Protesten. Die Polizei sei angerückt, sagt Polina. Aber verhaftet hätten sie niemanden.

Ein paar Monate vorher hatten sie schon einmal hier gestanden, im Februar, als die Newa noch weiß zugefroren war. In einer Kette der Solidarität hielten sie sich an einem langen weißen Tuch fest, rote Mützen, rote Schilder, rote Plastikblumen. Protest nach belarussischem Vorbild. „Freiheit für die politischen Gefangenen“, riefen sie im Chor. Ein paar der Blumen liegen immer noch auf dem Denkmal, kleine Farbkleckse auf kaltem Granit.

Neben Marias Cyber-Xeno-Anarcho-Feminismus treten mit Polinas Stadtrundgang pragmatische Aktionen wie diese: Frauen protestieren für Frauen. Aktion, Reaktion. Repression, Protest.

Wir gehen weiter, durch den Taurischen Garten, in dem sich vor der Februarrevolution 1917 Schwule und Lesben trafen. Vorbei am ersten medizinischen Ausbildungszentrum für Frauen. Wir besuchen die Häuser von feministischen Schriftsteller*innen und die Schauplätze großer Proteste. Man muss wissen, wo diese Orte sind, um sie zu finden. Denn die Stadt erinnert nicht an sie.

Im September haben sie deswegen noch eine weitere Aktion gestartet:

„Im Rahmen der September-Woche „Weibliche Geschichte“ wurde eine Aktion namens „Zurückgegebene Namen“ durchgeführt. Diese Aktion war Frauen gewidmet, deren Namen ungerechtfertigt aus dem städtischen Raum getilgt wurden. Zum Beispiel trug der Gribojedow-Kanal früher den Namen von Katharina II. Und die Malaja Konjuschennaja Uliza trug den Namen von Sophia Perowskaja. Neben diesen beiden Namen gab es noch vier weitere von Frauen, die so auf die Straßen Petersburgs zurückkehrten. Am meisten wurde aber über Katharina II. und Sophia Perowskaja gesprochen. Sophia Perowskaja war die Mörderin und Organisatorin des Mordanschlags auf einen Zaren – und Katharina II. war Kaiserin. Wir wurden dann von der einen wie der anderen Seite, von links wie rechts, wegen dieser beiden Namen kritisiert. Die Aktion fand breiten Widerhall und wurde viel diskutiert, unter anderem von Witali Milonow und Oxana Puschkina.“

Milonow ist Politiker, der regelmäßig gegen Homosexuelle hetzt – Puschkina sitzt ebenfalls im Parlament und setzt sich für eine gesetzliche Strafe häuslicher Gewalt und gegen das Verbot gleichgeschlechtlicher Ehen ein.

Nach zwei Stunden stehen wir vor einem unscheinbaren Wohnhaus. Hinter einem Gittertor und zwei schweren Metalltüren verbirgt sich im Untergeschoss ein von Neonröhren ausgeleuchteter Flur. Seit zehn Jahren unterstützt hier der das Projekt „Offener Raum“ kulturelle Projekte und aktivistische Initiativen. Vor einem Jahr haben sie auch in Moskau einen Raum eröffnet.

Durch einen Türspalt leuchten bunte Buchrücken.

„Jetzt befinden wir uns in der Feministischen Bibliothek von St. Petersburg, der „Infotek“. Die Bibliothek ist Teil des sogenannten „Offenen Raums“ und besteht seit Frühjahr 2016, aber ihren Bücherbestand sammelt die Bibliothek schon seit 2011. Früher war das hier mal eine Küche. Inzwischen haben wir in der Bibliothek über 500 Bücher und über 400 selbstverlegte Magazine. Alle Bücher kann man kostenlos ausleihen, wir hoffen immer, dass man uns die Bücher auch zurückbringt, wir mögen unsere Bücher sehr – also, wenn ihr das hört: Bitte gebt die Bücher in die Bibliothek zurück.“

Vika empfängt uns vor den Bücherregalen. Sie arbeitet hier seit einem Jahr, verleiht jeden Freitag für zwei Stunden Bücher. Sie sind sorgfältig sortiert: Hier das LGBTIQ-Regal, dort Herstory, ein Regal für Familie und Reproduktion. Ihre Lieblingsabteilung: Das Anarchie-Regal.

Polina hat ein Buch über St. Petersburgs feministische Stadtgeschichte gefunden. Vika zeigt ihr Lieblingsmagazin, an dem sie mitgearbeitet hat: feministische Rezensionen von Horrorfilmen. Ihre Bücher sind alle gespendet. Vor ein paar Wochen mussten sie ein paar zusätzliche Regale anschrauben, weil ihr Bestand so schnell wächst.

Kleine Oasen für Gleichgesinnte, sie tun sich bei diesem Streifzug hinter Stadtgrenzen, rosafarbenen Toren und schweren Metalltüren auf. „Hier herrscht Ruhe“, sagt Vika. „Diese Bibliothek ist eine Art Psychotherapie für mich.“ Es wird nicht das letzte Mal sein, dass ich so einen Satz höre.

Helena Weise

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