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Mit Krach und Witz gegen das Patriar­chat

Auf ein Bier mit einer Sozialistin

Von
Helena Weise

D

Daria ist nach Jahren im Ausland nach St. Petersburg zurückgekehrt – und erkennt ihre Stadt nicht wieder. Auf dem Weg zur Metro hat sie Angst, dass die Polizei dort auf sie wartet. Sie will, dass der Feminismus in Russland politischer wird. Und sie will abhauen, sobald es geht.

Sie schlägt vor, sich in der besten Lesbenbar der Stadt zu treffen: der Ossi-Bar, eine Kneipe mit Wohnzimmerflair, Treffpunkt für die queere Szene in St. Petersburg.

Sie kommt zu spät, schickt eine Videonachricht. „Wir sind auf dem Weg“, sagt sie in geübtem Englisch. „Ich habe außerdem dieses prächtige Biest hier dabei.“ Sie hält den Kopf ihres Dobermann-Welpen in die Kamera.

Ungelogen, das Biest ist prächtig. Und ein Gespräch mit der Besitzerin eines dreimonatigen Welpen so stringent wie mit der Mutter eines Kleinkinds, das zu viel Cola getrunken hat. Aber Daria Hamburg, wie sie genannt werden will, hat eine spitze Zunge und braucht nicht viel Zeit, um sich warm zu reden.

„Die feministische Szene in Russland ist apolitisch“, sagt sie. Sie teile sich in zwei Lager: Auf der einen Seite die liberalen Feminist*innen, die auf Instagram oder TikTok den Ton angäben. Ihre Botschaft sei: „Ich bin ein Girlboss – du kannst das auch!“ Diese Feminist*innen seien sehr beliebt in Russland, sagt Daria, während sie ihren Hund davon abhält, ein Sofa zu zerkauen. Und ich erinnere mich an Maria, die etwas ähnliches über Feminismus in Russland sagte.

Auf der anderen Seite stehen aus Darias Sicht radikale Feministinnen („basically TERFs“). Das Akronym steht für „Trans-Exclusionary Radical Feminists“ und wird kritisch für jene benutzt, die trans Personen die Teilhabe an der feministischen Bewegung verweigern.

Und zwischen TikTok-Girlboss und TERF? Da steht für Daria nur die Initiative, der sie sich selbst vor rund einem Jahr angeschlossen hat: die Sozialistische Feministische Alternative. Eine Gruppe von rund zehn Frauen*, unabhängiger Ableger der Partei „Sozialistische Alternative“. Für sie ist die Unterdrückung der Frau verschränkt mit kapitalistischer Ausbeutung, mit Armutsverhältnissen, mit Rassismus, mit Queerfeindlichkeit.

„Wenn es Proteste gab, waren wir dabei“, sagt Daria nicht ohne Stolz. Proteste in Solidarität mit Nawalny, mit den Frauen in Afghanistan und denen in ihrem eigenen Land. Im Mai hielten sie eine Mahnwache für Yulia Zwetkowa ab, die Künstlerin und Aktivistin, für die auch Polina an der Kaimauer im September protestiert hatte. Nach der Mahnwache wurden einige der 15 Teilnehmer*innen zu Hause befragt und verhaftet, erzählt Daria.

„Bis zu diesem Moment dachte ich, es sei sicher in St. Petersburg. Jetzt gehe ich zur Metro und denke: Sie könnten da jederzeit auf mich warten.“

Daria ist noch nicht lange wieder in Russland. Als Projektmanagerin für finanzielle Technologien hat sie sieben Jahre lang in Tel Aviv gelebt. Als ihr Visum auslief und sie vor eineinhalb Jahren zurück kam, war sie entfremdet von ihrer Heimat, von der unverhohlenen Homophobie, die ihr entgegenschlug.

Es sei schlimmer geworden, seit die Regierung 2013 ein Gesetz erlassen habe, das „Homosexuellen-Propaganda“ verbiete. Gerade erst habe ein Regierungsvertreter gefordert, LGBTIQ und Radikalfeminist*innen als extremistische Organisationen einzustufen. „In Tel Aviv nahm ich vieles für selbstverständlich. Gay Pride? Dafür hatte ich keine Zeit.“

In Russland kommt es ihr mittlerweile fast unmöglich vor, einen Mann zu daten. Wenn sie am Ende eines Abends nicht als „dumme Feministin“ beschimpft werde, sei es ein guter Abend gewesen, sagt Daria und bestellt ein Weißbier. Deswegen will sie so schnell wie möglich wieder abhauen.

„Russland hat Angst vor allem, was aussieht wie die Vergangenheit. Wir verbringen viel Zeit damit, zu erklären, was wir überhaupt mit Sozialismus meinen.“

Vorher aber will sie so viel Feminismus auf die Straße bringen wie möglich. „Wir können Kunst machen und Artikel schreiben – aber das ist nur mediale Agenda. Wir müssen die Leute daran erinnern, dass Feminismus politisch ist, wir müssen konkreten Wandel fordern. Sonst stecken wir hier für immer fest.“

Später, als sich Daria noch eine Zigarette vor der Bar geschnorrt hat und ihr Dobermann-Welpe sie durch den angrenzenden Park zieht, erzählt sie von ihrer Hoffnung in die nächste Generation. „Gen Z is fucking amazing“, sagt sie. Sie ist sich sicher: Es braut sich etwas zusammen in Russland. Auch, wenn sie selbst nicht mehr lange ein Teil davon sein will.

Helena Weise

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