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Mit Krach und Witz gegen das Patriar­chat

Auf einen Lacher mit zwei queerfeministischen Stand-Up-Comedians

Von
Helena Weise

S

Sie waren müde von den ständigen Klischees in der Comedy – und beschlossen selbst aufzutreten. Statt auf der Straße gegen das Patriarchat anzuschreien, reißen sie Witze darüber. Und scheitern nur an einem einzigen Tabu.

Eine junge Frau tritt nach vorne. Bevor es losging, hat sie immer wieder an ihrem Vaper gezogen, so stark, dass die Wangen sich nach innen wölbten. Jetzt hat sie Vaper gegen Mikrofon getauscht. Es wird so still, wie es in einer Bar eben still werden kann.

„Setzt euch hin. Ich weiß nicht, wie – aber herzlich willkommen!“

Sie sind an diesem Abend in die Ossi Bar gekommen, um zu lachen. Die gleiche Ossi-Bar, in der Daria einige Tage zuvor mit ihrem Dobermann gesessen hat. Der Streifzug durch St. Petersburg, er führt immer wieder zu den gleichen Knotenpunkten.

Die Zungen sind heute nicht weniger spitz. Es geht um Homosexualität und die Ablehnung der Familie, um das Stereotyp männerhassender Feminist*innen, um die Volkszählung, bei der sie ihre Nationalität angeben sollen (russisch oder nicht) und ihr Geschlecht (männlich oder weiblich).

„Schreibt nicht, dass ihr Russen seid – denn es gibt es keine Russen“, ruft Ani, die die Gäste zu Beginn der Show begrüßt. „Schreibt lieber euer Gender, denn je mehr Gender, desto besser!“ Lachen, Nicken, Applaus.

Ani, die Frau mit den pinken Augenbrauen und dem Sidecut, veranstaltet queerfeministischen Stand-Up in St. Petersburg. Sie war müde von der Comedy-Szene, vom Männer- ebenso wie vom Frauen-Stand-Up. „Auch, wenn Frauen Comedy machen, bedienen sie Stereotype“, sagt sie später. „Da sind Männer dumm und Frauen lieben Handtaschen, sind monogam und natürlich heterosexuell.“

Sie will die Leute aus einem anderen Blickwinkel heraus zum Lachen bringen. Das müssten nicht immer feministische Witze für Feminist*innen sein. Genau so könne man über die Depression lachen, die viele von ihnen vereint. Über die Verzweiflung, in einem Land zu leben, dass Homosexuellen-Propaganda unter Strafe stellt.

Ani macht am liebsten Witze über ihre Großmutter, die versuchte, sie als Kind durch Trancen und Sessionen von ihren sexuellen Neigungen zu heilen. Auch das ist ein Tabu, mit dem sie brechen will.

In der Bar wird die Stimmung ausgelassener, ein junger Mann im schwarzen Rollkragen erzählt, wie seine Mutter in seiner Wäschekommode einen Dildo fand und ihn vorwurfsvoll vor seiner Nase wedelte. Eine andere erzählt das Märchen von Ivan Tsarnevitsch, einem russischen Märchenheld, der auszog, die Klitoris zu finden – und am Ende nur sich selbst fand.

„Der Stand-Up ist für mich Erholung. Erholsamer Aktivismus.“

Ani

Li hat die ganze Zeit über in der ersten Reihe gesessen, einen Stick nach dem nächsten in den Tabakerhitzer gesteckt, bis der Akku leer war. Zwischendurch hat seine*ihre wilde Lache alle anderen übertönt. Li geht am Ende spontan auf die Bühne, zum vierten Mal erst, noch etwas zittrig und mit dem Smartphone in der Hand.

Wie geht feministischer Stand-Up, frage ich Li nach der Show, als die Stühle wieder an ihrem Platz stehen. Sie*er hat es sich mit einem Glas Cider auf einem Sessel bequem gemacht und lädt ungeduldig den Tabakerhitzer.

„Disclaimer: I am not a feminist“, sagt Li in einem Englisch, das sie*er sich durch jahrelanges Couch-Surfing angeeignet hat. Li ist nicht-binär, ordnet sich keinem Geschlecht zu. Feminismus in Russland, das sei vor allem eine Bewegung für Frauen, die Menschen wie sie – mal bewusst, mal unbewusst – ausschließe. Ihr Wunsch, nicht als Frau angesprochen zu werden, werde nicht ernst genommen.

Bis hinein in ihre Stand-Up-Gruppe zieht sich der Konflikt. Fast in jeder Show reiße jemand einen schwierigen Witz, manchmal gebe es Streit, einmal sei es in Beleidigungen ausgeartet. Auch an diesem Abend macht jemand einen Scherz über trans Frauen, einige lachen verunsichert. Li zieht die Schultern hoch, rollt mit den Augen. „Ist sie trans? Nicht, dass ich wüsste. Aber möglich wär´s.“ Noch sind sie unsicher, wie sie damit hinter der Bühne umgehen sollen.

„Feministischer Stand-Up folgt oft der These, dass Männer das einzige Problem und Frauen allesamt unschuldig seien. Mit dem Mythos will ich Schluss machen. Aber ich habe Angst dafür attackiert zu werden.“

Li

Die Balance sei schwierig, sagt Li. Auf der einen Seite sei Stand-Up für sie kein Safe Space: Der dunkelste Stoff sei der witzigste. Aber gleichzeitig sollte Comedy nicht nach unten treten. „Und über wen machst du dich als marginalisierte Person lustig?“, fragt Li. „Am besten kannst du immer erzählen, was dich selbst betrifft, wo du Erfahrung hast. Aber wenn ich zum Beispiel einen Witz über fette Menschen mache, dann bediene ich nicht nur ein Klischee, sondern trete auch mich selbst mit Füßen.“

Ani sitzt daneben und nickt. Seit Li in der Gruppe ist, kündigen sie ihre Show als queerfeministischen Stand-Up an. Die Konflikte, die sie deswegen haben, will sie im Gegensatz zu Li nicht auf die Bühne bringen. Witze über Feminismus: Es ist das letzte Tabu, dass sie noch nicht brechen konnten. Zu groß ist ihre Sorge, diese letzte Insel erholsamen Aktivismus auch noch zu spalten.

Helena Weise

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