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Mit Krach und Witz gegen das Patriar­chat

Feminismus in Russland? Die Pussy Riots. Aktivismus in Russland? Immer gefährlicher. Viel mehr dringt aus Putins Staat nicht nach draußen. Währenddessen suchen Feminist*innen in den Metropolen neue Wege, um ihr Land zu verändern. Ein Streifzug durch St. Petersburg in fünf Begegnungen.

Von
Helena Weise

A

Auf eine Reise an den Rand der Stadt und in die Welt des Krachs

Alla Mitrofanowa glaubt an die feministische Tradition in ihrem Land – und an neue Technologien. Die Mutter des Cyberfeminismus führt mich raus aus St. Petersburg, hinter die Stadtgrenze. Hier wird eine Ruine zum Ort politischer Botschaften und Krach zur Systemkritik.

„Treffpunkt: Metrostation Newski Prospekt. Ausgang Gribojedow Kanal, 15/00. Zieh dir warme Stiefel an. Ich bin eine alte Frau in Schwarz.“

Es soll da eine Veranstaltung geben, einen Sound Relief schreiben die einen, eine Radical Rave Exhibition die anderen. Kurz hinter der Stadtgrenze von St Petersburg, im Oblast Leningrad. Ich habe die Koordinaten über einen Bot auf Telegram geschickt bekommen. Sie markieren einen Punkt im Nichts. Alla Mitrofanowa, die Mutter des Cyberfeminismus, hat kein Smartphone. Auf einem Zettel hat sie notiert, welche Metro sie nehmen muss, welche Tram, welche Richtung.

Auf dem Weg aus der Stadt: Alla Mitrofanowa in der Metrolinie 3.

Auf dem Weg aus der Stadt: Alla Mitrofanowa in der Metrolinie 3.

Koordinaten statt Adresse. Mit dem Zettel in der Hand studiert Alla Mitrofanowa den Fahrplan.

Koordinaten statt Adresse. Mit dem Zettel in der Hand studiert Alla Mitrofanowa den Fahrplan.

Je näher wir der Stadtgrenze kommen, desto brauner und gleichförmiger werden die Sowjetblocks, desto mehr verschwimmt die Stadt mit Regen und Asphalt. Alla folgt den Bahngleisen am Rand der letzten Wohnplatten Richtung Norden, überquert sie, balanciert über eine Metallbrücke und stapft weiter über die nasse Wiese. Das Nichts der Koordinaten: Es ist ein Feld, an der einen Seite begrenzt durch Zweiundzwanzigstöcker. Auf der anderen Seite beginnt die russische Weite außerhalb der Metropole.

Wir laufen über das Feld. Hinter einem Erdhügel wächst eine Ruine aus Schlamm und gelbem Gras. Auf der einen Seite wird sie nur von Betonsäulen getragen. Unter dem Dach ein Becken mit Wasser, dessen Oberfläche sich im Wind kräuselt.

Um in das Innere der Ruine zu kommen, muss man zwischen dem Wasser von Block zu Block springen. Hinter einem Eingang ohne Tür dann plötzlich Geräusche. Metallisch, brutal, aufdringlich. Der Krach saugt sich an die Ohren wie der Matsch an die Sohlen. Dunkel vermummte Menschen balancieren zwischen den Tümpeln oder wärmen sich an einer Feuertonne.


„Politische Soundkultur – das waren lange bärtige Männer mit teurem Equipment. Wir wollten zeigen, dass es auch einfacher geht. Wie man Geräusche produziert, wer und wo man ist – das ist entscheidend.“

Maria, Organisatorin des Sound Reliefs

Alla Mitrofanowa ist mit ihren 62 Jahren an diesem Nachmittag die Älteste. Zwischen den Aktivist*innen, die an Mischpulten Knöpfe drehen, nimmt sie einen Schluck aus ihrem Flachmann und raucht Zigaretten. Sie kennt die Organisator*innen des Projekts. Und alle kennen sie: Sie nennen sie die Mutter des Cyberfeminismus.

Angekommen. Die Ruine ist einer dieser Orte, die man gleich fotografieren muss. Noch ist es hell, später wird diese Kulisse im Licht der Neonschläuche leuchten.

Im Sog des Krachs. Eine Soundkünstlerin produziert eine bedrohliche Geräuschkulisse. Das Mischpult erstreckt sich über zwei Tische.

Für die Veranstalter*innen ist die Hauptsache: keine teure Technik. Wenn es nach ihnen geht, braucht es nicht viel, um gute Sounds zu produzieren.

Falsche Wahl? Die Schuhe dieser Teilnehmerin sind bereits vom Schlamm verschmiert. Ungerührt steht vor den dröhnenden Boxen, eingehüllt in den Sound.

Eine junge Frau im Schneeanzug teilt heißen Wein und Suppe in Plastikbechern aus. Neben der Feuertonne die einzige Wärmequelle an diesem kalten Oktobertag.

Der Sound Relief an diesem Nachmittag ist das Ergebnis eines Labors: Vier Monate lang haben sie politische Geräusche gesammelt: Aufnahmen von Demonstrationen und Poesie, Polizeifunk, ein Gespräch zwischen Mutter und Tochter am Küchentisch. Klanggeschichten, die von feministischem Widerstand erzählen sollen.

Neonschlangen führen einen dunklen Gang entlang, von dem aus sich kleine Räume öffnen. Aus einem dröhnt das Geschrei von Demonstrant*innen.


„Das vergangene Jahr war von Protesten geprägt: In Belarus, Kasachstan, Kirgisistan und Russland gingen die Menschen auf die Straße. Die Stimmen von queeren, trans* und nicht-binären Menschen wurden dabei nicht gehört. Ebenso wenig von Menschen, die nicht auf die Straße gehen können: Menschen mit Behinderungen und psychischen Auffälligkeiten zum Beispiel, Menschen, die sich um Kinder oder Ältere kümmern.“

Ein Stück weiter, an der Außenwand einer Mauer, kleben Zettel mit Gedichten, der Großteil der Worte ist schwarz zensiert.

Eine Künstlerin hat einen Paragrafen der russischen Verfassung in Morsecodes übersetzt. Und zwar genau den Paragrafen, der Rede- und Meinungsfreiheit garantiert. Dafür hat ein Algorithmus ihr ein Zufallsprinzip vorgegeben. Aus dem willkürlichen Set an Morsecodes, das dabei herauskam, hat sie ein Muster angeordnet – ein „Bild der Zensur“, das sie anschließend wie eine Folie über eine Reihe von Gedichten legte. Es soll eine Kritik an der willkürlichen Logik staatlicher Zensur sein.

„Es steht nicht schlecht um den Feminismus in diesem Land. Wir haben eine starke Tradition und eine sich rasch entwickelnde feministische Kultur, die das logische Gegenstück zu politischer Oligarchie und Militarisierung bildet. Aber die Demonstrationen werden immer gefährlicher. Wir müssen neue Wege finden.“

Alla Mitrafonowa

Mitrafonowas Großmutter war Feministin in den 20er Jahren, ihre Mutter Feministin in den 60er Jahren. Sie reiste schon als junge Kunstwissenschaftlerin nach Deutschland, trieb sich im „alten Berliner Kreuzberg“ herum, in Galerien und besetzten Häusern. 1993 hörte sie in einem St. Petersburger Club zum ersten Mal vom Cyberfeminismus – zwei Jahre, nachdem er in Australien begründet worden war. Seitdem ist sie dieser utopischen Theorieströmung treu geblieben, die – vereinfacht gesagt – neue Technologien in ihrem Feminismus mitzudenken versucht. Oder, wie Alla Mitrafonowa es auf ihre umständliche Art sagt:

„Nichts ist natürlich. Alles ist kulturell. Daten und Technologien sind Konzepte, die unsere Kultur prägen. Wie wir Daten sammeln und verwalten ist eine Frage der politischen Haltung.“

Eine Wand haben die Aktivist*innen spontan der Gewalt gegen Frauen* gewidmet. Es ist ein Thema, das von allen Feminist*innen als das größte Problem benannt wird, auch von Alla. Am Ausgang der Baracke, wo sich Dunkelheit und Krach zurückziehen und am Horizont eine Armee aus Strommasten salutiert, weht ein rotes Kleid träge im Wind. Daneben hängt ein provisorischer, handgeschriebener Zettel.

„Nun in Rot. Gestern und heute gab es diese Arbeit noch nicht. Jetzt lädt euch der Raum ein, über den gewaltsamen Tod der jungen Frau nachzudenken, die hier, im Schwimmbecken, gefunden wurde. Sie war 23 Jahre alt, sie starb durch die Hand ihres Partners und hinterließ zwei Kinder.“

Die Frau wurde wenige Tage vor der Veranstaltung gefunden. Sie entschieden sich, den Sound Relief dennoch hier stattfinden zu lassen.

„Es ist unsere Realität, wir können es nicht ignorieren. So etwas passiert, während wir darüber Kunst machen.“

„Es ist unsere Realität, wir können es nicht ignorieren. So etwas passiert, während wir darüber Kunst machen.“

Maria ist eine der Organisator*innen des Sound Reliefs. An diesem Nachmittag ist die Frau mit den blau-braunen Haaren nie lange an einem Ort.

Nur zigarettenlang unterhält sie sich mit Alla, bevor sie wieder hinter den wummernden Boxen verschwindet. Maria wird die zweite Begegnung dieses Streifzugs sein.

Jetzt aber dämmert es und die Plattenbauten, die das Feld vorher bedrohlich überragten, spenden tröstliches Licht. Die Luft schneidet scharf in die Wangen. Alla Mitrofanowa wärmt sich noch an ihrem Flachmann.

Der Sound Relief heute hat ihr gut gefallen. „Eines der besten Projekte in der anarchischen und demokratischen Kunst“, wird sie einige Tage später in ihrer überlegten Schriftsprache sagen, in der Küche ihrer vor Pflanzen und Büchern überquellenden Wohnung. „An den weißen Wänden einer Galerie tauchen moderne Technologien nicht auf. Neue Inhalte suchen sich eine neue Form.“

Der Rückweg ist im Finsteren kaum zu erkennen. Noch ein Blick zurück: Die Ruine leuchtet im letzten Licht der Sonne, so als hätte der Himmel eine eigene Neonschlange installiert. Schon jetzt ist von dem Krach nichts mehr zu hören.

Helena Weise

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